Christoph Bernh.                     Welt und Glauben

Schlüter                                        Dritter Theil

1801 – 1884                                                  

Glauben und Gnade

                                                         (Fortsetzung)

 

 

 

371

 

O sprich zu mir, o schweige nicht vor mir,

Daß ich hinab nicht wie zur Grabesstätte,

Im Tode sinke! Fasse, hebe, rette,

Trag ob dem Abgrund mich empor zu dir!

 

Lauscht’ ich dem Widerwort ur Ungebühr?

Du ew’ges Wort, schlingt mit demantner Kette

Dein Zeichen nicht, gleich goldnem Amulette

Sich um mein Herz mich tröstend für und für?

 

Warum verstummst du mir anitzt, wo jede

Ansprache mir der Kreatur zuwider,

Wo sehnsuchtsvoll mein Ohr nur dir sich neigt?

 

Geh’ auf, du silberlichter Quell der Rede,

Mit Trost, Licht, Kraft und Heil; bis du hernieder

Zu mir dich neigst, kein Trost für mich sich zeigt.

 

 

372

 

Wenn tiefen Gram und Oede im Gemüthe

Ich oft beraubt wie aller frischen Säfte

Und aller höhern, genialen Kräfte

Und wie verbannt aus heil’gem Lichtgebiete;

 

Wenn ich zur Qual ob meinem Nichtsthun brüte,

Wenn ich umsonst den Blick mit Flehen hefte

Auf die Erinnrung, ob durch ihr Geschäfte

Mir keine Lust und selbst kein Schmerz mir blühte;

 

Wenn starr und todt, tief, einsam, unerregt

Ich darb’ und schmacht’ und bin wie ausgeschlossen

Von der Lebend’gen Pfad, dem lichten droben:

 

Freut’s doch mich still, wenn kaum das Herz auch schlägt,

Daß Millionen Sterne, lichtumflossen,

Ob mir frohlockend meinen Schöpfer loben.

 

 

373

 

Seit ich gesehn, wie, was das Herz begehrt,

Und liebt und schätzt und selig möchte’ umfangen,

Für ew’ge Zeit zu stillen sein Verlangen,

Hier unterm Monde schwindet und nicht währt;

 

Seit ich gesehn, wie, was da hochgeehrt

Von Menschen prangt, was jubelnd sie umrangen

Mit Lob und Preis, vor einem Hauch vergangen,

Hat tiefer Gram mein innres Herz verzehrt.

 

Die Blüthe welkt, das grüne Laub wird falben,

Die Schönheit schwindet, heller Sommertag

Schließt mit Gewittern und mit Abendregen.

 

Der Winter scheucht den Lenz und allenthalben

Seh’ ich Vergänglichkeit und ihre Schmach.

O Herz, sei still und bleib’ auf Gottes Wegen!

 

 

374

 

„Seh’ ich mit ernstem Blick das Leben an,

Muß gift’ger Schmerzenspfeil’ ich sein gewärtig,

Chaot’scher Wirrwarr wird mir gegenwärtig,

In Schatten tritt mir jeder lichte Plan.

 

Blind rast das Glück, blind tritt der Tod heran,

Rafft lock’ge Unschuld, Sünder grau und bärtig;

Groß angelegt schien manches, nichts wird fertig,

Uns All’ umschließet finstrer Schicksals Bann.

 

Und keinen sah ich, der der Blühn’ entstürzt,

Nach dem man fragte, der nicht überschüssig

Gar bald erschien, ersetzlich ohne Zweifel.

 

Wohin ich seh’, vereitelt und verkürzt

Wird jede Hoffnung, Alles überflüssig!“

So spricht des Gram’s eintönig Dachgeträufel.

 

 

375

 

Ihr geht so heut, wie gestern, eure Bahn

Am purpurnen Azur, ernst, sanft und groß,

In still entzücktem Schweigen; euer Loos

Ist, Sterne, nicht dem Wechsel unterthan.

 

Hart faßt nur uns ein rauhes Schicksal an

Hier unten tief im sturmbewegten Schooß

Der Muttereerde, rauh und schonungslos

Spielt mit der Menschen Herz des Lebens Wahn.

 

Der Tag von gestern schloß mit Wonn’ und Freude,

Befestigt schien gleich einer Felsenmauer

Der Friede uns und äußrer Wohlfahrt Glück.

 

Der Tag von heute schließt mit bittrem Leide,

Auf jenes Baues Trümmern sitzt die Trauer,

Zu euch, ihr Ew’gen, richtend ihren Blick.

 

 

376

 

Des Kirchhofs Flieder schwankt im Wehn der Weste,

Die Pappel rauscht im trüben Regenwinde,

Die Sonn’ ist unstät, selbst die duft’ge Linde

Seufzt schwermuthsvoll im sprossenden Geäste;

 

Und sieh vorm Haus, wo ausgegrabne Neste

Der Todten ruhn, ein Schmetterling geschwinde

Eilt von gesprengter, goldner Sargesrinde

Froh zu des Lenzes Honigblüthenfeste.

 

Auf dem Gebälk ruhn noch im goldnen Schimmer,

Die er durchbrach mit jugendlicher Schwinge,

Der Chrysalide abgefallne Trümmer.

 

Doch welch ein Anblick, Schrecken nicht geringe!

Hier schwebt noch eine, die entschwebt wohl nimmer,

Sie birgt den Wurm! O Vorbild großer Dinge.

 

 

377

 

Mir ist’s, als lieg’ im tiefen Seelengrund’

Ein alter Schatz von großer Scheiben Scherben,

Die sich gar oft im Lichtstrahl plötzlich färben,

Wie Iris schön geschwungen, reich und bunt.

 

Von alt verfallnen Schlössern stammt der Fund,

Der arme, kaum entrissen dem Verderben;

Doch auf ihn blickend mag ich Luft erwerben,

Und thut er mir manch alt Geheimniß kund.

 

Und weilt auf seinem reichen Schmelz der Blick,

Fängt in der Seel’ es heimlich an zu klingen,

Zum Ringeltanz sich die Gedanken schlingen.

 

Es träumt das Herz von einem hohen Glück:

Vergangene Zeiten kehren licht zurück,

Und plötzlich schwebt sie wie auf Engelschwingen.

 

 

378

 

Was spricht so tief in dieser Stimme Tönen

Zu meinem Herzen? Unaussprechlich nennen

Möchte’ ich den Zauber, muß ich doch sie kennen,

Mein Tiefstes regt sie auf zu mächt’gem Sehnen.

 

Umgibt mich lichtes Paradieseswähnen

Der frühsten Jugend? Schnell von mir sich trennen

Die Geister, die dorthin zu eilen brennen,

Woher die Töne ihre Macht entlehnen.

 

So ist’s, ach, jede Frucht und jede Blüthe,

Gesandt aus jenen südlichen Gefilden,

Glüht milder, duftet süßer, glanzumweht.

 

Aus tiefsten Busens dämmerndem Gemüthe

Ruft sie der Jugend Eiland, licht und gülden,

Aus dunkler Fluth, es glänzt in Majestät.

 

 

379

 

Mir ist’s, ich wall’ in süßer Dämmerung,

Rings um mich Fried’ auf duft’gen Frühlingsauen,

Auf Wies’ und Hügeln; Halm’ und Haine bauen

Sich auf zum Tempel, feiernd, froh und jung.

 

Zum Iztz ward Hoffnung und Erinnerung,

Aus Friedenswolken fühl ich’s niederthauen,

Mir ist’s, als könnt’ den ew’gen Tag ich schauen

Mit einem Blick und Geistesflügelschwung.

 

Aus stein’gem Herzen quillt es klar und voll,

Als sei dem ew’gen Quell ein Thor gehauen,

Der nun in mir zum heil’gen Meere schwoll.

 

Still ist’s, nun kann unendlich ich vertrauen,

Und ohne Wollen thu ich, was ich soll,

Und leb’ aus diesem Quell auch ohne Schauen.

 

 

380

 

Ja, wie ihr sagt, es sehnt das Menschenherz

Nach Freiheit sich und Fülle; doch genügen

Kann ihm nur Freude Gottes, kein Vergnügen

Der ird’schen Zeit; drum richtet’s himmelwärts!

 

Es trinkt sein Blut der Erde Tand und Scherz

Und saugt es matt und leer, bis es auf Flügen

Zum Quell des Heils gelernet zu besiegen

Den finsteren Magnet und seinen Schmerz.

 

Dort in der Einheit, die uns hält und trägt,

Die sanft das All erfüllet und umhüllet,

Und um das Weltall ihre Arme schlägt,

 

Ist’s, wo der Seele Füll’ und Freiheit quillet,

Bewegt sie ruht, wo ruhend tief bewegt

Sie ihren Durst nach mächt’ger Freude stillet.

 

 

381

 

Frag’ nicht die Menschen,wo du zweifelnd bangst,

Im eignen Innern steht die heil’ge Hütte

Des Stifts erhöht, in deren Dämmermitte

Du Antwort findest, wie du sie verlangst.

 

Jahrzehende vergebens suchend rangst

Nach Antwort du bei Menschen; deine Bitte

Im Allerheiligsten vertrauend schütte

Sie aus dem Herrn; hier legt sich deine Angst.

 

Sei Moses deine Seel’ und nähre stumm

Voll Ehrfurcht mit der Frage dich dem Sitze,

Wo Hoffnungsreichen stets Gewährung ward.

 

Hier ist des ew’gen Wortes Heiligthum

Und ewiges Orakel: gleich dem Blitze

Ertönt sein Wort in heil’ger Gegenwart.

 

 

382

 

Dring’ auf mein Geist zu jenes Lichtreichs Grenzen,

Es leiht die öde, bange Angst dir Flügel,

Hinan, wo am durchsicht’gen Demantriegel

Die Gottheit strahlt, die kreaturen glänzen.

 

Dort, wo mit Lichtesstrahlen sich umkränzen

Die Geister, auf der Stirn der Gottheit Siegel,

Wird dir vielleicht, berauscht vom heil’gen Spiegel,

Ein Engel froh den Lebenswein kredenzen.

 

Hier unten in der Thäler Labyrinthen

Voll Thränen, Nacht und Seufzern, treiben Schatten

Ob Dornen sich, ist rings kein Ausgang offen.

 

Nur au der Höh’ ist Freiheit noch zu finden.

Hinan denn über Wolken ohn’ Ermatten

Aus nächt’ger Thäler Grund mit kühnem Hoffen!

 

 

383

 

O laßt am wilden, wolkentrüben Tag

Der Zeit gedenk uns sein, wo voll der Bronnen

Des Friedens quoll, von Gottes heitern Sonnen

Beglänzt die welt, ein Garten um uns lag!

 

Wenn unser Herz in Stunden bittrer Schmach,

Sich, wie es ringt, auf Elend nur besonnen,

Krank, ungeliebt; wenn wie in Sand zerronnen

Sein Lieben scheint und alles Unheil wach:

 

O laßt des heil’gen Bergs gedenk uns sein,

Von dessen Höh’ die Gnadenströme quillen,

Die wasser Gottes segnend niederbrausen:

 

Auch uns schenkt einst den vollen Becher ein

Der Herr, an seinem Fuß uns reich zu stillen.

Noch springt der Quell, birgt ihn gleich nächt’ges Grausen.

 

 

384

 

Will rings kein Blick dein Auge liebend binden,

Dem Herzen bietend Ruhestatt, verstößt,

Wie dich’s bedünkt, dein Herz nach allen Winden

Selbstsücht’ge Welt, die dir dich überläßt;

 

Kannst du in Keines Auge tief begründen

Des Herzens Ruh’, vom Gram und dir erlöst,

Scheint dir umher kein einz’ges Herz zu finden,

So deinem Blick verheißt ein Friedensfest:

 

O, über dir ist noch ein Auge offen,

Das mild in deine Nacht herniedersieht,

Wo unruhvoll in bangem Fürchten, Hoffen

 

Dein schlummerloses Herz vor Sehnsucht glüht!

O such dies Auge auf mit deinem Herzen,

Sieh dich geliebt, ruh’ aus von allen Schmerzen.

 

 

385

 

Im Busen liegt, umstrickt von vielen Hüllen,

Ein Psalter hohen Gottenlob’s; dumpf klingt

Und halb verstimmt die Harfe, unbeschwingt,

Ringsum verlarvt, verborgen noch im Stillen.

 

Da kommt das Leid, gesandt nach Gottes Willen,

und scheidet all’ den Wust, der sie umringt,

Und stimmt sie rein; o wie beflügelt singt

Sie nun ihr Lied, die Himmel zu erfüllen.

 

Wie sanft melodisch dringt ihr Gottesloben,

Ihr Dank, ihr Preis aus dunkler Schmerzensnacht,

Anitzt gereinigt, auf zum Tag dort droben,

 

Wo still die ew’ge Vatergüte wacht,

In ew’ger Seligkeit der Friede lacht,

Der Schmerzensgluth für ewig nun enthoben.

 

 

386

 

Hart ist Wechsel nach gewohntem Glücke,

Schwer, was einst du sehr bewundert, meiden,

O wer sähe kalt die Wonne scheiden,

Jahrelang genährt, im Augenblicke!

 

Doch wie auch Schmerz das Herz durchzücke,

Stumm verehrend wird sich Lieb’ bescheiden;

Freuden läßt sie und erwählt die Leiden,

Daß sie sich gleich dem Geliebten schmücke.

 

Denn des Herren Will’ und Wohlgefallen

Ist ihr Will’ und ihres Herzens Wonne,

Die sie klarer itzt im Leide siehet.

 

Drum, wenn Thränen gleich dem Aug’ entfalten,

Trinkt sie fest den Leidenskelch: es sprühet

Ihr aus ihm ein Strahl der ew’gen Sonne.

 

 

387

 

Freundesrath, so sagt man ist der beste.

Hat die Welt, der du zu sehr gewogen,

Oftmals gleißnerisch dich schon betrogen,

Folg’ dem Freund, sein Wort sei deine Veste.

 

Aber ach, wenn mit dem Glück die Gäste,

Freunde reichen Hauses, oft entflogen,

Selbst die treuvermeinten sich entzogen,

Thränen ihre Flucht dem Aug’ entpreßte:

 

Wenn dein Schiff, entmastet, bar der Segel,

Fast ein Wrack hintreibt im Lebenssturme,

Trüb’ und rathlos blickst gelehnt an’s Ruder,

 

Um dich kreischet schwarzes Nachtgevögel:

Bleibt ein Freund, deß Rath dir gleich dem Thurme;

Ihm vertrau’, er ist dein Gott, dein Bruder.

 

 

388

 

Die Sonne kämpft, durch schwarzer Wolken Schaaren

Siehst kaum du noch ihr glorreich Antlitz schimmern,

Es seufzt der Abendwind mit leisem Wimmern,

Rings sinken rasselnd fahler Blätter Schaaren.

 

Nicht kann sie strahlender sich offenbaren

Am Mittag, als sie itzt; doch über Trümmern

Scheint im Gewölk sie ihren Sarg zu zimmern,

Schleunigst bedacht allein hinab zu fahren.

 

Jedoch du weißt, wie nur der Nebelschwall

Ihr Strahlenaug’ umzieht und sonder Hülle

Es schöner als am Mittag leuchten würde.

 

O Greisesseele, also im Verfall

Des Leibes strahlst und glühst du mild und stille:

Gerechtigkeit heißt deine ew’ge Zierde.

 

 

389

 

Leicht trübet sich die lichte Sonn’ im blauen,
Azurnen Dom, ihr milder Blick umzieht

Mit Nebeln sich, tief sinkt ihr Augenlid

Und leise zuckt es unter düstren Brauen.

 

Und aus den Wimpern Ströme niedertauen;

Wie nimmersatt in Thränenlust entglüht

Des Himmels Aug’ hinab zur Erde sieht;

Doch bald neu sprießen Felder, Thal und Auen.

 

So, Seele, naht der düstre Tag der Leiden

Mit Sturm und Regen, denk’, es ist die Liebe,

Die mitleidsvoll in unserm Busen sieht

 

Des Herzens staub’ge Dürr’ gleich welken Heiden;

Still trink den Strom in feuchter, dunkler Trübe,

Bald kehrt die Sonn’ und Alles lacht und blüht.

 

 

390

 

Wer leben will, lern’ erst zuvor sich tödten;

Vergessen wird, wer nie auf sich vergessen,

Wenn ew’ger Schöne Strahlen ungemessen

Ihm tagten, Himmelslüfte ihn umwehten.

 

Wenn nach dem Lorber eure Blicke flehten,

Mißt fröhlich, was Gering’res ihr besessen;

Weg mit den äußern nicht’gen Weltintressen,

Ist selbst zu intressiren euch vonnöthen.

 

Ihr zagt? – O glaubt, um Nichts wird Nichts erworben,

Nur um die äußre Mannichfaltigkeit

Wird euch der Preis der innern Herrlichkeit

 

Im Glanz der Einheit; wer noch nicht gestorben,

Zeigt sich nicht würdig der Unsterblichkeit;

Wer immer spielt, der hat sein Spiel verdorben.

 

 

391

 

Elend ist nur, wo kleine Schmerzen walten,

Und tausend Sorgen ziehn uns erdenwärts:

Da schwinden kräft’ger Ernst, wie muntrer Scherz,

Dringt keine Sonne durch des Nebels Falten.

 

Doch schnell wird Gott die Seele aufrecht halten,

Naht deiner Brust der eine große Schmerz

Um Ihn, den du verlorst; groß wird dein Herz

Und eine Welt sich neu in dir gestalten.

 

So senkt die heil’ge Sternennacht sich nieder

Auf dämmernde Gefilde, alle Schatten

Verschlingt sie rasch und saugt sie alle ein.

 

Nur sie noch herrscht; hoch trägt ihr Glanzgefieder

Den Geist empor, den müden, tagesmatten,

Durch ew’ge Sternenkräfte ihn zu weihn.

 

 

392

 

Es singt ein Vöglein an des Berges Hang

Bei Nacht sein einsam Lied; leis’ klagend fleht

Hoch zu der Sterne heil’ger Majestät

Sein schwergeängstet Herz viel Stunden lang.

 

Durch Erl’ und Pappel schauert schwermuthbang

Von Zeit zu Zeit ein Lüftchen; doch es geht,

So wie es kam; dann laut der Nachtwind weht

Und stürmt in’s Thal mit dumpfem Todessang.

 

Es ringt und ruft, kann Ruhe nicht erringen,

Kein Schlummer deckt die matten Augenlider

In langer Nacht, ermüdet sind die Schwingen:

 

Da blickt ein Silberstrahl der Frühe wieder

Aus fernem Berggebüsch: der muß ihm bringen

Ersehnte Ruh’; Traum senkt Ton und Gefieder

 

 

393

 

Ich sah ein Bild; ein grauer Alchemist

Zerstieß ein Herz mit einer Keul’ aus Stahle

Rastlos wie wüthend in metallner Schale,

Wie, wer beim Werk die ganze Welt vergißt.

 

Weh armes, junges Herz! Nach kurzer Frist

Entstrohmt ein Blut- und Thränen-Strom zu Thale,

Es stand zerknirscht; da sieh mit einem Male

Durch einen Blitzstrahl es verwandelt ist.

 

Hoch zuckt ein Strahl herab aus dunklen Höhn

In des Adepten Schal’; urplötzlich sieht

Er Fleisch und Blut gleich einem Rauch verwehn.

 

Wie in krystall’nes Gold verwandelt glüht

Das Herz vor ihm, gleich einem Chrysolith,

Und schwebt gen Himmel jugendlich und schön.

 

 

394

 

O würd’ in mir die ew’ge Todesquelle

Tief in der Brust zum heil’gen Lebensquell,

Leicht wär’ das Herz und bald die Augen hell

Dem Pilger, leicht geschürzt zur Reif’ und schnelle!

 

O, wenn dein Wort im Innern mir erschölle

Mit süßem Laut, und fänd ein Echo schnell

Tief in der Brust; der Mißton wirr und grell,

Wie schnell entflohn von Sünde, Welt und Hölle!

 

Melodisch sprängen heil’ge Wasserfluthen

Des ew’gen Lebens laut mit Silberwellen

Zurück zum ew’gen Born, wo hergesandt

 

In’s dürre Herz sie rauschend nimmer ruhten;

Und Engel weilten an den Stromgefällen:

Du, Seele, wärst ein paradiesisch Land.

 

 

395

 

Und thust du nichts, o schwergedrückte Seele,

Sei ohne Furcht, vielleicht ist’s Zeit, zu ruhn;

Vielleicht wird itzt der Herr statt deiner thun,

Und Weisheit sorgt, daß sie dir’s noch verhehle.

 

Dein Innres scheint dir dumpfe Schläferhöhle

Voll Nacht und Moder, wohl so ist es nun;

Allein vielleicht, daß Gottes Heimlich-Thun

Bei Nacht der Morgen herrlich dir erzähle.

 

Wirkt nicht, bevor der Lenz sein Füllhorn wendet,

Im erdenschooß gar heimlich und im Stillen

Befruchtend, bildend sanfter Sonnenstrahl?

 

Und manchen Sturm und Regenguß erst sendet

Der Lenz voran, das Erdreich zu erfüllen,

Bis Morgens er erscheint mit einem Mal.

 

 

396

 

Wenn laue Lenzluft durch das Dörfchen geht

Mit süßem Hauch, wenn unter allen Hecken

Im Grün die dunklen Veilchen sich verstecken,

In Gärten grün die Stachelbeere steht;

 

Wenn von dem Frühjahr froh das Herz erhöht

Nun voller schlägt, und lacht der Winterschrecken:

Wie da süß bittre Düfte dich erwecken,

Wenn sanfter West durch weißen Schlehdorn weht!

 

Sein bittrer Duft stärkt Haupt und Herz und macht

Dich aufgelegt, der Veilchen und der Rosen,

Der Lilien Wohlgeruch mit Lust zu trinken.

 

O wie so süß nach dunklem Schmerze lacht

Der Freude Antlitz dem schon Hoffnungslosen,

Dem neu die alten Sterne wieder blinken.

 

 

397

 

Der Sonne bringet Lenz den Blüthentraum

Der Erde dar mit Farben, Glanz und Düften,

Gesang in Wäldern, Thälern, Bergesklüften,

Wenn frisch vom Fels spritzt junger Brünnlein Schaum.

 

Und freundlich vom azurnen Himmelssaum,

Dem von der Vögel Flüglein froh durchschifften,

Strömt neuen Segen sie auf Thal und Triften

Und Bergeshöhn aus hohem Aetherraum.

 

So möchte’ auch ich des Herzens Traumesblüthen

Froh opfern, licht ob dunkel, selig spielend

Im heitern Lenztag ew’ger Geistersonne.

 

Sie wird ein freundlich Antlitz mir entbieten;

Denn liebend in dem All und nicht unfühlend

Blickt sie auf jeden Abglanz ihrer Wonne.

 

 

398

 

Wie auch gestürzt mit mir aus sel’ger Höhe,

Hat doch der ew’gen Weisheit milde Hand

Nicht hoher Schönheit heil’gen Schmuck entwandt

Der Erde ganz, wie schmerzlich auch ihr Wehe.

 

Wie schön als stumme Wittwe rings ich sehe

Sie noch geschmückt; der Hoffnung Unterpfand

Glänzt ihr im Aug’, und schon sieht sie das Land,

Wo ihr verheißen, daß auch sie erstehe.

 

Mit ihr auch ich. O, ihre Schönheit däucht

Mir eine Stimme hehren Gottespreises,

Die sie noch nicht vermag zu offenbaren!

 

Hilf, Seele, ihr, wenn sie noch harrend schweigt,

Nimm auf ihr Lob in Herz und Stimm’ und weis’ es

Zu Gott hinauf, vereint mit seinen Schaaren.

 

 

399

 

Es glänzt der Morgensonne Erstlingsstrahl

Vom goldnen Kreuz. Wo auf des Berges Höhen

Um die Kapelle düstre Ulmen stehen,

Durchzuckt das Licht die Dämmerung im Thal.

 

Und Frühe weckt der Morgenglocke Hall;

Mit Geisterfuß durch Thalesschluchten gehen

Die Laute zu der Menschen Ohr; es sehen

Das Strahlenkreuz rings Augen ohne Zahl.

 

Und frohvergessend Nacht und Tod und Sünde

Blickt Jedes dankbar auf, und liebend nieder

Zum Bruderantlitz, das sein Auge segnet.

 

Süß weht’s, wie Liebeshauch, im Morgenwinde

Von Veilchen, Primeln, Dornenbluth und Flieder

Durch’s Dorf: im Einen Alles sich begegnet.

 

 

400

 

Nach vorwärts eilt, nach oben, was da lebt:

Zu ihren Zielen eilen die Planeten,

Es wandeln fort die heil’gen Morgenröthen,

Und in dem Geist Natur zu rasten strebt.

 

Die Wurzel fliehend, eilt von Glanz umwebt

Die Pflanz’, im Licht des Tages anzubeten;

Und selbst das Thier macht Liebe zum Propheten,

Im andern sehnend sich’s zu finden bebt.

 

Und rückwärts sinkt, was nimmer vorwärts eilt,

In Tod zurück, was nicht sich selbst erhebet:

Nicht Stillstand kennt das Leben. Auf, o Seele,

 

Da nichts bei sich in dunkler Wurzel weilt,

Dem Strom des Lebens folget, was da lebet,

Flieh’ dich, daß Ew’ges froh sich dir vermähle!

 

 

401

 

Wie schrecklich ist der Ort, an dieser Stätte

Welch heilig Grau’n erfaßt mich, ist die Hütte

Jehovah’s hier, rauscht es vom Geistertritte,

Und legt um mich des Schauers Zauberkette?

 

Fern tos’t der Strom der Zeit im alten Bette;

Hier lauscht man kaum dem Donner seiner Schritte,

Und ist’s, als ob den Pilger schon die Mitte

Der Ewigkeit im Ring umschlossen hätte.

 

Wie selig ist der Ort, wo fern verhallt

Das Weltgetös’, wie steigen Gottes Geister

Auf goldnen Leitern segnend still hernieder!

 

Wie ab und auf ihr heilig Rauschen wallt

In Lieb’ und Lob, vom Meister und zum Meister,

Sanft saust um Herz und Haupt ihr Lichtgefieder!

 

 

402

 

Hast du nur Liebe, kann die Höllennacht

Der Leiden dir in Paradieseshelle

Sich schnell verwandeln; und so wird zur Hölle,

Wo Liebe fern, des schönsten Tages Pracht.

 

Ist’s Freud’, auf deren Antlitz Lieb’ nicht lacht?

Ist’s Leid, wo hohe Himmelslieb’ zur Stelle?

O, was ist Himmel, fern der Lieb’, was Hölle,

Als Leben ohne Liebe zugebracht!

 

Lieb’ ist der Strahl, der tausendfarbig hold

In allen Lebensformen sich entfaltet,

Aus Licht und Dunkel siegreich sich erhebt;

 

In Licht, in Gluth, in Lust wie Leid das Gold,

Das rein besteht, unsterblich nicht veraltet,

Und einst den Haß für ewiglich begräbt.

 

 

403

 

Sei, Feind, gesegnet, huldreich mir gegeben

Zum Widerspruch von ew’ger Liebe Macht!

Was mir kein Andrer, hast du mir gesagt,

Vernahm ich’s gleich mit Schmerz und innrem Beben.

 

Du lehrtest Demuth, Sanftmuth und Vergeben

Mich und Geduld, die Stärke überragt

Des zorn’gen Muthes, warst mir eine Wacht

Und lehrtest minder an mir selbst mich kleben.

 

Wo ich am schwächsten, hast du mich ergriffen

Und streng behandelt; ja, du zeigtest mir,

Wie Manches, mein geschätzt, doch nicht war mein.

 

Du hast der Seele Edelstein geschliffen,

Noch in der Ewigkeit einst dank’ ich’s dir,

Mag drob der Herr dein Unrecht dir verzeihn.

 

 

404

 

Es reift der Sonne Strahl die grüne Frucht,

Bis süß und mild sie glüht im dunklen Laube,

Allmächtig wanelt sie zur Nectartraube

Den Heerling um in warmer Felsenschlucht.

 

Doch größres Wunder in verlass’ner Bucht

Wirkt Gottes Gnadenstrahl, wo tief im Staube

Ein Herz gebeugt erseufzt, schon fast zum Raube

Verzweiflungsvoller Nacht in wilder Flucht.

 

O heil’ger Strahl, der du vom Angesicht

Der Gottheit zuckst, Lichtblick der ewigkeit,

Wie magst du so mit unserm Herzen handeln!

 

Wie kommt’s, daß deine Reinheit weigert nicht,

ein trotzig Herz, grün und voll Bitterkeit,

In eine milde, goldne Frucht zu wandeln?

 

 

405

 

Sobald den Edelfalken seiner Haube,

Der hüllenden, befreit der Falkonier,

Flugs steigt er auf zum höchsten Luftrevier,

Festzielend kehret er mit sicherm Raube.

 

So, Seele du, hat hoher Himmelsglaube

Den unermessnen Himmel über dir

Enthüllt: hinan zu ew’ger Schöne Zier,

Zum Quell der Liebe, frei gemacht vom Staube!

 

Hinan du, lang’ im Reif der Welt gewiegt,

Das Haupt von wirrer Thorheit Nacht umgeben,

Hinan und hole reiche Schätze nieder!

 

Stets quillt des Himmels Reichthum unversiegt;

Nimm Gnad’ um Gnad’, Licht, Hoheit, Kraft und Leben

Für dich, sodann für tausend deiner Brüder!

 

 

406

 

Nur Einer ist, und Eins ist nicht: das Werden,

So Dasein wird genannt, obwohl’s kein Sein,

Schwankt zwischen beiden unruhvoll, den Schein

Vom Wesen borgend, täuschend in Gebehrden.

 

Geburt, Tod, Untergang, Entstehn auf Erden

Hat etwas mit dem Sein, dem Nichts gemein.

Vergebens suchst du Dauer zu verleihn

Dem Zeitengang, dem endlosen Verwerden.

 

Frucht widerlegt die Blüth’; erscheinet die,

Straft sie die Knosp’ und alles Vor’ge Lügen;

Gott will, das Werdende es soll nicht sein.

 

Such’ Ew’ges drum! dem ew’gen Wechsel flieh!

Nicht hälst du ihn; verlassend nur besiegen

Wir seine Macht, nicht thöricht greifend ein.

 

 

407

 

Was allgemein, ist drum noch nicht gemein,

Was einzeln, drum noch immer einzig nicht;

Wo wahrhaft Allgemeines ihm gebricht,

Wo Einzigkeit dem allgemeinen Sein,

 

Ist beides Sein vielmehr ein leerer Schein.

Erst in der Einheit hat die Zahl Gewicht

Und rechtes Maaß: theilhaft am ew’gen Licht,

Wird wahrhaft sie ein Sein im Widerschein.

 

Und jene Allgemeinheit, ewig rein

Und himmelklar, ein heilig Angesicht

Dreiein’gen Seins, würd’ sie nicht einzig sein,

 

O thöricht wär’ die Satzung, welche spricht:

Lieb’ über Alles Gott und ihn allein;

Nie könntest du dein ganzes Herz ihm weihn.

 

 

408

 

Heil dem Allmächt’gen, groß und unbekannt!

Sein Ebenbild, im Geiste seiner Spur,

Steh’ ich, ein freier Herr der Kreatur,

Die nimmer der Erkenntniß Pfade fand.

 

In Lieb’ und Ehrfurcht sei mir nur genannt

Sein heil’ger Nam’. Er that den ew’gen Schwur:

Für kurze Zeit des erdenlebens nur

Sei fern von mir des Staubes Sohn verbannt.

 

Anbetend stumm an jedem neuen Tage

Sei er verehrt, der mich zuvor geliebt,

Bevor ich ihn erkennen, lieben konnte.

 

Was wog mein Sein in seines Lebens waage?

War ohne mich sein sel’ges Sein getrübt,

Der ewig sich in seinem Abglanz sonnte?

 

 

409

 

Befreit vom Winter quillen Wasserbronnen,

Und lichte Sanftmuth lös’t der Flüsse Band;

Es herrscht der Lenz, die Turtel girrt im Land,

Und Augen hat die heil’ge Reb’ gewonnen.

 

Und weithin leuchten junge Frühlingssonnen,

Vorüber ist der Winter und verschwand.

Die Hochzeit naht; schon ist der Braut bekannt

Der Bräutigam, und daß sein Tag begonnen.

 

Die Rebe grünt, des Weinstocks Blume düftet

Und sproßt und rankt zum heil’gen Tempeldach,

Das Heiligthum mit Laubwerk zu umschließen.

 

Doch eh’ sich noch der heil’ge Vorhang lüftet,

Naht sicherlich der Prüfung strenger Tag,

Muß Traubenblut aus tausend Keltern fließen.

 

 

410

 

Wie steht so traurig blätterlos der Wald,

Am Berghang seufzt des Weinstocks dürrer Ast;

Begraben, welk liegt unter Schnees Last

Das Thal der Veilchen, wild vom Sturm durchhallt.

 

Doch kommt der Sommer, ändernd die Gestalt

Der Dinge, die vom Winter streng gefaßt

Und todtengleich verwandelt; unterm Bast

Schläft Leben schon und dringt zu Tage bald.

 

Wie wird, wenn nun vorüber diese Zeit,

Im ew’gen Lenz des Herren Kraft erscheinen,

Die itzt verdeckt träumt in Gebährungswehn!

 

Wie dehnt des Herzens Baum die Zweige weit,

Dem Lichttag aus der Höh’ sich zu vereinen,

In Blüthenglorie vor dem Herrn zu stehn!

 

 

411

 

Ja, in der Wurzel schläft schon itzt die Kraft

Aus Gott, die, noch verborgen, sich nicht zeigt;

In Christ sind wir gepflanzt, noch unerweicht

Starrt seiner Rebe Schoß und wankt erschlafft.

 

Doch kommt der Tag, der neues Leben schafft,

Aus Glauben, Demuth, Lieb’ und Hoffnung steigt

Der Lebensbaum, der reich die Aeste neigt,

Von Blüth’ und Früchten schwer aus heil’gem Saft

 

Noch starrt der Winter und, mit Christ gestorben,

Harrt still des Lenzes jede heil’ge Rebe

Und träumt vom Auferstehn, in Gott verborgen.

 

Der Aufgang naht, wo Kraft und Licht erworben.

Der Rebzweig sinnt, wie er sich hoch erhebe

Und prang’ in Gott am neuien Schöpfungsmorgen.

 

 

412

 

Es schießt die Lieb’ von ew’ger Schöne Bogen

In tausend Herzen tausend goldne Pfeile;

Sie fahren auf, zu unermess’nem Heile

Fühlt sich allmächtig jedes hingezogen.

 

Die Lieb’ erwacht in stürmisch-feur’gen Wogen,

Ein jedes sorgt, wie schnell hinan es eile

Und an der ew’gen Schönheit Busen weile,

Die nie der Sehnsucht Ahnung hat betrogen.

 

Doch hält das Herz und mächt’gen Geistes Willen

Der Leib zurück in Zeitgeständniß-Banden,

Und Ohnmacht lähmt den Auffluf himmelwärts:

 

Nicht kann der Geist der sehnsucht Maaß erfüllen

In Gegenlieb’, um selig dort zu landen,

Wo glänzt ihr Ziel; das ist der Liebe Schmerz.

 

 

413

 

Wie glänzt im Purpurlicht beim jungen Tag,

Wenn aufgeflogen deiner Laden Riegel,

Genüber an der Wand entflammt der Spiegel,

Auf dem bei Nacht so dieses Dunkel lag.

 

Doch Morgenglorie dringt in dein Gemach,

Und auf des Lichtes blitzesschnellem Flügel

Erscheint der Sonne purpurrothes Siegel

Im Spiegel klar, wie’s durch die Fenster brach.

 

Und so, o Seele, wird dereinst es sein,

Wenn Christus, deine Sonne, wird erscheinen,

Und weit der Horizont vom Aufgang tagt.

 

In deinen Tiefen wird sein Bild erscheinen;

Schon ist des Glaubens dunkler Spiegel dein,

Bewahr’ ihn treu, selbst in der längsten Nacht.

 

 

414

 

Ist nicht um mich, in mir und über mir,

So weit des Himmels Bogen sich erstreckt,

Wo letzter Nebelstern die Grenze steckt,

Und drüber weit, noch ew’ger Schöne Zier?

 

Ist, wie im unermeßlichen revier,

Nicht in der Hast, wo Seele du versteckt,

Der heil’gen Liebe ew’ger Tisch gedeckt?

Wir sind geladen, und noch zögern wir?

 

Ein leiser Hauch in stillem Liebessinnen,

Ein Seufzer, eine Thräne sprengt die Wand,

Die von dem höchsten Gut uns hält geschieden.

 

Laß uns noch heut, uns im Moment beginnen!

Die Liebe, wenn sie unsre Seele fand,

Gibt uns all’ ihre Seligkeit und Frieden.

 

 

415

 

Momente gibt’s, wo überm Zeitenzwist

Sich hoch zu Gott der Seele Schwingen breiten,

Dem ew’gen Lichttag sich die Thore weiten

Des Herzens, das die erd’ und sich vergißt.

 

Verstummt sind Hoffen, Fürchten und Gelüst,

Das abwärts zielend strebt in alle Weiten;

Aus Gotteshänden die Momente gleiten,

Wo du wie überm Staub erhoben bist.

 

Und scheint von einem lichten warmen Tone

Dein Herz zu zittern, der aus ew’gen Reichen

Herniederquillt; in seiner Harmonie

 

Wird Vieles eins, entrückt dem Zeitenfrohne.

In ihm scheint jeder Schmerz sich auszugleichen,

Was da sie lernt, vergißt die Seele nie.

 

 

416

 

O wie zerspringt des Lebens herbe Schale,

Fliehn alle Schranken, die das Herz umriegeln,

Wo solche Himmelswonnen sich entsiegeln

Auf luft’ger Höh’ beim letzten Scheidestrahle!

 

Süß hallt die Vesperglock’ im Klosterthale;

Ihr heller Ton auf Abendwindes Flügeln

Bebt zitternd fort zu fernen Sommerhügeln;

Tief summt’s vom Thurm der fernen Kathedrale.

 

Hoch über Feig- Citron- und Myrthen-Hainen

Des Schneegebirges Höhen funkelnd blitzen

Der Sonne nach, dann rosig sanft verglühn.

 

Doch ob dem Schneegewand, dem ewig reinen,

Sieh’, gleich dem Genius, das Thal zu schützen,

Den Abendstern die heitre Nacht durchziehn.

 

 

417

 

Schön ist dein Abglanz in der fernsten Spur,

Selbst in der Dämmrung jener letzten Wesen,

Die zu Grenzwohnern finstrer Nacht erlesen;

Auch sie sind Zeugniß deiner Allmacht nur.

 

Schön ist dein Abglanz in der Kreatur,

Die deine Huld und Liebe wollt’ erlösen;

In jenen, die dir untreu nie gewesen,

Der Sonne gleich auf heitrer Himmelsflur.

 

Doch zeigt von deinem Glanze selbst ein Strahl,

Von ew’ger Schöne, sich des Glaubens Blick,

In Dämmrung sinkt und Nacht die Welt zurück.

 

Sie alle ruhn in des Vergessens Thal,

Da kennt nicht Herz noch Auge eine Wahl,

Folgt nur der Lieb’ allmächtigem Geschick.

 

 

418

 

Wer rastlos fliegt, in alle Tiefen dringt,

Zu allen Höhn noch aufstrebt bang’ beklommen,

Ist fern noch keinem Ziele.   Ankekommen,

Nur wer’s in sel’ger Gegenwart umschlingt.

 

O Mensch, dein Ziel es ist dir nahe; bringt

Dein Herz nur nicht, von Trägheit übernommen,

Und hast’gem Nichtsthun, wo du nah’ gekommen,

Den Abgrund mit, der jedes Gut verschlingt.

 

In naher Mitte zwischen Tief’ und Höh’

Erscheint die heil’ge Charis deiner Seele

Voll Menschenfreundlichkeit und beut sich dir.

 

Sie endet Sorge, Kummer, Gram und Weh,

Lächelt dir Ruh’ und tilget deine Fehle.

„Wo ist der Himmel?“ spricht sie; „juble hier!“

 

 

419

 

Schilt nicht die Wurzel schwarz und mißgestalt!

Aus dunklem Grund in Blüth’ und Blätterflor,

Auf sie gegründet schießt der Stamm empor,

Sie ist des Baumes Nahrung, Schutz und Halt.

 

O tadle nicht die Quader roh und kalt

Und grau im Grund; ein Schloß mit Thurm und Thor

Und goldnen Zinnen tritt an’s Licht hervor

Auf jenem Fundament, ein Säulenwald.

 

So, liebe Seele, ist es in der Welt,

Hienieden mit des Glaubens Fundament

Und dunklen Wurzeln ew’ger Herrlichkeit.

 

Auch er, unscheinbar, nicht in’s Auge fällt;

Grau, schön’ und häßlich Mancher ihn benennt:

Sein Baum, sein Bau prangt in der Ewigkeit.

 

 

420

 

Du fragst: wo mag die Wunderstätte sein,

Wo Erd’ und Himmel an einander grenzen,

Wo rosig mit Auroras Purpurkränzen

Sich ewig schmückt der duft’ge, dunkle Hain?

 

O Freund, such’ jenen Horizont allein

In eigner Brust; in deinem Innrn glänzen

Dir ew’ge Sterne, muß es ewig lenzen:

Dort naht sich Gott der Welt, dort stell’ dich ein!

 

Dort an der Schwelle wird ein heilig Graun

Dich still durchschauern vor des Heil’gen Nähe;

Dort wirst du oftmals heiter, hehr und mild

 

Den Glanz von seinem Vaterantlitz schaun,

Der sanft dich tröstet, schreckt dich seine Höhe

Und Herrlichkeit, und dich mit Huld umquillt.

 

 

421

 

Und hast dem Wahn des Staubs du abgeschworen,

Bau’ deine Warte hoch im Felsennest,

In Höhlen schroffer Berghöh’, kühn und fest

Mit Adlerblick die Ferne zu durchbohren.

 

Hier hat, was irdisch, seinen Klang verloren;

Im Blau verdämmert’s fern von Ost nach West.

Auch hier dein Gott und Nährer nicht verläßt

Dich, der die Sonne, den die Sonn’ erkoren.

 

Frisch saust die Bergluft, und du siehst, wie flüchtig

Abwechseln Tag und Nacht, die Zeiten schwinden

Des buntbekränzten Jahrs, wie nichts besteht.

 

Hier fühlst du erst, wie deine Seele wichtig

Vor Gott: sie bleibt, wie Er, mußt du empfinden,

Wie Erd’ im Glanz der Sonnenmajestät.

 

 

422

 

Wer Alles ließ um Gott, hat Nichts verlassen,

Vereint in ihm fand alles Gut er wieder,

Und alle Kreaturen, seine Brüder,

Mag er in Gott erst recht in Lieb’ umfassen.

 

Nur Bosheit, Finsterniß und Lüge hassen

Kann er annoch und mächt’gen Abgrunds Hyder;

Sein Leben ist ein Buch voll heil’ger Lieder,

Bis hoffnungsselig seine Wangen blassen.

 

Die Weltlast, so auf Atlas Schultern liegt,

Der Sklavenmenschheit, trägt er leicht und fröhlich,

Sie hat der Held in seiner Brust besiegt;

 

Der ficht für ihn; mit Hoheit, Kraft und Licht

Stählt er ihn innen, macht ihn stark und selig;

Und dieser Herkules verläßt ihn nicht.

 

 

423

 

Wird Großes nur in Leidenschaft vollendet,

Was nüchterner Besinnung nie gelang;

Wird Heldenthum, Kunst, Liebe und Gesang

Und was da schön, den Trunknen nur gespendet;

 

Ist selbst Religion, hoch hergesendet

Vom Himmel uns, ein feur’ger Ueberschwang

Der Leidenschaft: o zögert denn nicht lang,

Wählt, was die niedern Leidenschaften endet!

 

Seid groß und stark in höchster Leidenschaft,

In Lieb’ und Haß und hohem Gluthverlangen,

Gleich ihm, der tödtend, stets erhaltend schafft.

 

Sein Haß und seine Lieb’ sei eure Kraft,

So haltet stets das Höchste fest umfangen

In heil’ger Pflicht im Arm, der nie erschlafft.

 

 

424

 

Nicht ziebt dem Knaben Kindes Thun und Lallen,

Dem feur’gen Jüngling nicht des Knaben Art,

Der reifen Jungfrau, fühlend tief und zart,

Nicht Mädchens Wildheit, scherzend nach Gefallen.

 

So wird der Mann dem Tadel bald verfallen,

Dem Ehr’ und ernste Pflicht nicht Richtschnur ward.

Vernunft und Weisheit, sanftem Sinn gepaart,

Ziemt Greisen, die am Stab des Alters wallen.

 

Doch Liebe, Kraft und Reinheit ziemt dem Helden,

Ob jung, ob alt, der ganz dem Herrn sich weihte;

Gern still bei sich, er nicht nach außen jage.

 

Mehr That als Wort wird der Umgebung melden,

In wessen Frieden er den Feind bestreite;

Er eint des Kindes, Mann’s, des Greises Tage.

 

 

425

 

Ist’s innen still, bleibt dennoch außen Streit;

In Kampfes Lärm am Tag der lauten Schlacht

Hab’ auf die Spitze deines Gegners Acht!

Thor, der allhier sein Ohr zur Lockung leiht,

 

Die mit Verlust der Ehre Frieden beut

Und zum Beding der Ruh’ die Schande macht;

Sei tapfer, denn bald senkt die Sternennacht

Sich auf die blut’ge Wahlstatt kühlend weit.

 

Du, Herr der Schlacht, des Friedens ew’ger Hort,

Schlief fest mein Aug’ am blutig heißen Tag,

Das innre Aug’, im Lärm der wilden Schlacht,

 

O, zeig’ nach Sonnenuntergang ihm dort

Den Friedenszweig’, wenn innres Auge wach,

Und äußres schläft, in stiller, kühler Nacht!

 

 

426

 

Erst mußt du trauern auf zerfallnen Trümmern

Jerusalems, das Werk des Donnerschlags

Aus heil’ger Höh’ verehren, des Vertrags

Des Herrn mit uns gedenk im herben Kümmern.

 

O, nimmer wird die Gottesstadt dir schimmern

Im neuen Tag, trat nicht im Glanz des Tags

Vom Herrn die Götterdämmrung ein, erlag’s

Nicht ihm zuvor, das stolze Heer mit Wimpern.

 

Mit Thränenfluth muß der Krystall der Augen

Zuvor gebadet und gewaschen sein,

Soll er die Strahlen ew’gen Aufgangs saugen.

 

In Gluth nur, wie Asbest im Feuer, rein

Wird erst das Herz recht dem Erlöser taugen,

Ob Götzentrümmern steigt des Herren Schrein.

 

 

427

 

Ich rief um Tröstung, meine Ampel brannte

Kaum trüb’ und schwach, denn ihr gebrach’s an Oele;

Du Wahrheit kamst und wiesest meine Seele,

daß sie die Wege deines Raths erkannte.

 

Und staunend sah’ ich’s und mein Herz entbrannte,

Du liebst mich immer noch trotz Sünd’ und Fehle;

Und Friedensschimmer brach in meine Höhle

Wie nie zuvor, der jeden Gram verbannte.

 

Du warst bei mir, ich war bei dir.   Entschwunden

War meinem Geist, warum ich beten wollte,

Und kaum begriff ich’s, als ich mich besonnen.

 

Du warst bei mir, ich war bei dir.   Verwunden

War Gram und Schmerz; daß er verstummen sollte,

Warst du zuvor geeilt mit Friedenswonnen.

 

 

428

 

Wohl gibt es Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen,

Gesang und Stimmung sind uraltes Recht.

Wenn Unglücksnacht die Seele niederschlägt,

Und weit dir gähnt des Mißgeschickes Rachen:

 

Vielleicht wird schnell ein sonn’ger Tag erwachen,

Drin unvermerkt sich sanft Begeistrung regt;

Durch Schmerzen lächelnd Taubenflügel schlägt

Dein Genius, froh, im Lied sich Luft zu machen.

 

Trifft nur der helle Sonnenschein das Haupt

In Spätherbst und in öden Wintertagen,

Spricht dir im Leid sanft Freundeswort zu Herzen:

 

Vergessen ist, was dir die Zeit geraubt;

Kaum noch dich itzt des Grams Gedanken nagen,

Und in Musik verwandeln sich die Schmerzen.

 

 

429

 

Leicht weckt mit süßer Lust am hellen Morgen

Des Frühroths Strahl der Lerche frohes Lied,

Wenn ihre Brust der Sonn’ entgegenglüht,

Die halb noch ruht im Ocean verborgen.

 

Und in der Brust ihr reget süße Sorgen

Der Erstlingsstrahl, wenn hoch im Luftgebiet

Sie schauend schwebt; ihr kleines Herz durchzieht

Begeistrungsschau’r, doch fühlt sie sich geborgen.

 

Denn Schauens Lust weckt Liebesdrang und Sehnen,

Des Busens Füll’ im lob- und Preis-Gesange

Des Herrlichen, der uns uns selbst entrückt,

 

Frei auszuströmen laut in Jubeltönen

Der sel’gen Ehrfurcht, schmetternd froh und bange,

Zu künden aller Welt, wie wir beglückt.

 

 

430

 

Es weckt der Strahl der Morgensonne hehr

Die Augen rings und Blüthen; bräunlich schmücken

Mit Farb’ und Duft sie sich, doch jene blicken

Entzückt durch Thränen, die vom Thaue schwer.

 

Es lag mein Herz vor dir, ein stilles Meer,

Du Aufgang aus der Höh’, in Hochentzücken

Ging auf mein Aug’, als ihm dein Bild du schicken

Gewollt, und jubelnd klang mein Lied umher.

 

Es weckt dein Blick des Geistes schlummernd Auge,

Dein Strahl erschließt des Herzens duft’ge Blüthe,

Es löst dein Lied die Zunge zum Gesang.

 

Laß, daß für immer deine Strahlen sauge

Das durst’ge Herz, rückstrahlen deine Güte

Mich lebelang in Licht, in Duft und Klang.

 

 

431

 

Schön ist die Blüthe, die zur Majestät

Des Untergangs nach Stürmen, wüst und grau,

Des langen Regentags im lichten Thau

Am stillen Abend sanft gerichtet steht.

 

Süß duftend, leuchtend ist’s, als ob sie fleht

Entzückt und zitternd auf der frischen Au’,

Wie unersättlich dürstend in die Schau

Der Gluth versenkt, die westwärts untergeht.

 

Wie weint sie schön! Doch schöner sind die Augen,

Die brünstig heiß zum Gottversöhner flehn,

Voll ew’ger Sehnsucht auf zum Kreuze sehn,

 

Die unersättlich Wonn’ und Wehmuth saugen

Aus seinem Blick, die ewig nicht zu stillen,

Sich heiß mit bittren Reuethränen füllen.

 

 

432

 

Mir der Kern, was sollen mir die Schalen?

Wird das schönste Aug’ nicht Lieb’ erheben,

Macht es nie ein Herz vor Sehnsucht beben;

Ist’s auch Sonne ohne Sonnenstrahlen?

 

Aber wird dein Antlitz Liebe malen,

Wird der Schönheit Lieb’ entgegenstreben;

Wird auf deinem Mund nur Liebe schweben,

Regt er, wer du seist, mir süße Qualen.

 

O, der Erde Antlitz ist nicht schön,

Unvergoldet von den lichten, warmen

Sonnenstrahlen, die sie froh umarmen.

 

Würde Lieb’ nicht auf dem Antlitz stehn

Ew’ger Schöne, deren Nam’ Erbarmen,

Würd’ ein  Herz vor Weh nach ihr vergehn?

 

 

433

 

Magst du hold und schön geschmückt vor Allen,

Frisch wie Bergluft, schlank wie junge Reben,

Leuchtend wie der Tag vorüber schweben,

Mag dein Lob ringsher dir widerhallen,

 

Ist, was schön hier, auch in jenen Hallen,

Bei den Geistern schön? O süßes Leben,

Wirst dein Herz du gläubig treu erheben

Hoch zu Gott, so wirst du ihm gefallen.

 

Gläub’ger Herzen liebende Erhebung

Zu der ew’gen Schönheit heil’ger Sonne

Ist das Antlitz, drin sie freudig lieset

 

Ihrer Kinder himmlische Bestrebung,

Ihr zu gleichen.   O dir sei es Wonne,

Wenn sie dich zum Liebling sich erkieset.

 

 

434

 

Sanft tränkt mit Thau der Wolken himmlisch Heer,

Geschwellt von Segen, Berge, Thal und Flur;

Still ziehn sie hin auf der azurnen Spur

Des Himmels, segnend über Land und Meer.

 

Mit Balsam tropfend, licht und warm und schwer

Schaun sie herab rings auf die Kreatur,

Die Labung fleht; doch selbst sie schöpfen nur

Hoch aus der Sonne Lichtquell sanft und hehr.

 

So ziehn von je, still segnend, durch die Welt,

Licht, Wärme, Heil verbreitend in der Zeit,

Die hohen, inniggottvertrauten Seelen.

 

Der Glaube ist’s, der sie im Schweben hält,

Der aus der Liebe wirkt Gerechtigkeit:

Kann es da je an reichem Segen fehlen?

 

 

435

 

Ja, Eine kannt’ ich, möge Gott sie schützen,

Nein, schlicht, gerecht war ihrer Tage Zeit

Unscheinbar edlen Perlen gleich gereiht:

Sie schimmern nicht, doch möchte’ man sie besitzen.

 

Doch galt es Gutes thun und Andern nützen,

Und Gott zu dienen, war sie rasch bereit,

Sah man ihr Wesen, der dem Tag sich beut,

Dem Demant gleich in goldner Kette blitzen.

 

Natur erschien’s, was Gnad’ in ihr erwecket,

So war sie gleich in Freuden sich und Leid,

Durch nichts Vergängliches annoch geschrecket.

 

Wie Sonnenstrahl auf Aehrenfeldes Spitzen

Am trüben Tag, schien, wie durch Wolkenritzen,

In ihr ein Abglanz ew’ger Gütgkeit.

 

 

436

 

Zum Tempelhain führt dich dein Wanderstab,

Unsichtbar wie von Engelhand ummauert

Rings vor der Welt; kein Späherauge lauert

Dort, wo’s so still und friedlich, wie im Grab.

 

In diese Schatten stieg sie oft hinab,

Von heil’ger Gottheit Nähe still durchschauert,

Und Tröstung, so dies Leben überdauert,

Der Ew’ge in die wunde Brust ihr gab.

 

Hier wallten zwei befreundete Gestalten,

Die keinen Schmerz des Busens sich verhehlten

Und kein Entzücken durch der Gnade Wehn.

 

Dir ist’s, als ob den Eindruck noch behalten

Die Zweig’, als ob leis rauschend sie erzählten,

Was Alles sie gehöret und gesehn.

 

 

437

 

Oft hab’ ich hold und reizend dich gesehen,

Voll Jugend, Anmuth und Holdseligkeit;

Und deine Schönheit dünkte mich geweiht

Von einem Geistesstrahl aus ew’gen Höhen.

 

Doch eines Tags hört’ ich und sah dich flehen

Für Arme, tiefverstrickt in Noth und Leid,

Ganz Liebe, Inbrunst und Beredtsamkeit,

Das Antlitz leuchtend, wie von Sonnennähen.

 

Durch Thränen lächelnd, bittend, ganz vergessen

Dein selbst und aller Welt, wie sprachst du Hohn

Künstlicher Sitt’ zerreißend alle Banden.

 

Da sah ich dich in Schönheit ungemessen:

Dich zeigte mir ein Strahl von Gottes Thron,

Wie ewig du in Gott vor Gott gestanden.

 

 

438

 

Dies blaue Aug’, es sei des Glaubens Zeichen,

Den fest und klar im Herzen du empfangen

Durch Gottes Huld: dies Purpurroth der wangen,

Der hohen Lieb’, die nimmer mag erbleichen.

 

Der Zähne Weiß, dem Elfenbeine weiche,

Der Unschuld Bild im festen Lilienprangen.

Heil dir, wenn diese Arme oft umschlangen

Das Kind des Unglücks, Trost ihm darzureichen!

 

Der Locken dunkle Fülle dicht verschlungen,

Zeigt uns geeint dein Herz mit Gottes Willen,

Dein grün Gewand, der Hoffnung schön Symbol.

 

So sei von ew’ger Schöne Strahl durchdrungen,

So mag von holden Lippen Trost entquillen

Dem Armen, Siechen, lieb- und demuthsvoll.

 

 

439

 

Ich sah umher, ob Schönheit ich gefunden,

Göttlich erhaben, tröstend, ernst und mild,

In deren Anschaun jeder Gram sich stillt,

In deren Brunn die Seelen all’ gesunden,

 

Durch deren Band dem Höchsten sie verbunden,

Wie unter sich von seinem Heil erfüllt.

Ich fand den Strom, dem Seligkeit entquillt:

Die ew’ge Schönheit strahlt aus Jesu Wunden.

 

O heil’ge Thore, Morgenrothes Glanz

Säumt eure Angeln, kündend hell den Tag

Des jungen Aufgangs ew’ger Schönheitssonne.

 

Zum Kranz des Sieges wird der Dornenkranz,

Zum Lebenseinzug bittre Todesschmach,

Das tiefste Weh zu Paradieseswonne.

 

 

440

 

Schön ist, was dich entfesselt und befreit,

Dir freudig schauen, leben hilft und lieben;

Doch häßlich, was dich blenden, binden, trüben

Und tödten will, dich ewig dir entzweit.

 

So wohnt, was schön, nicht in der Sichtbarkeit;

Laß denn die dunkle erdenfessel hüben,

Suchst du die hohe Geistesschönheit drüben;

Sie macht dich leicht und froh zum Flug bereit.

 

Und kennst du sie, so zuckt auch durch die Trümmer

Der ird’schen Welt, worin der heil’ge Bau

Des ersten Gottestempels liegt zerfallen,

 

Aus ew’gem Tag ein wonnigsüßer Schimmer,

Dir kündend leis des Paradieses Au’

Und der Stadt Gottes ew’ge Friedenshallen.

 

 

441

 

In sanfter Strahlen magisch holdem Weben,

Als die Natur in mildem Abendglanze

Der Rose Blüthen öffnete zum Kranze,

Sah ich zwei Genien herniederschweben.

 

Was sich das Herz gewünscht für dieses Leben:

Des wahren Glückes ungetrübte Fülle,

Die reinsten Freuden in der Zukunft Hülle,

Es war für uns in ihre Hand gegeben.

 

Sie schmücken mit des Daseins höchsten Blüthen

Das Leben uns in ewig heitrer Schöne,

Die Genien der Liebe und der Treue;

 

Sie werden gnadenreich das Herz behüten,

Das gern vernimmt des heil’gen Wortes Töne,

Daß es im ew’gen Lichte sich erneue.

 

 

442

 

Oft dünkt mein Herz sich jung und schön zu sein

Und ganz entflohn der Tyrannei der Zeit;

Ihm schafft’s die innre, lichte Fröhlichkeit,

Voll Lieb’ und Lust sich ganz dem Herrn zu weihn.

 

Bedenk’ ich’s recht, so ist’s der Widerschein

Von ew’ger Schönheit und Vollkommenheit,

Die ich erwählt; sie schafft die Freudigkeit,

Daß alle Geister jubeln im Verein.

 

Und wär’ ich auch gleich selbst nicht jung und schön,

Ist’s mein Geliebter, der auch mir gehört.

Dies ist genug; denn Alles kann er schenken.

 

Vielleicht auch mich hat hold er ausersehn,

Daß eines Tags er selbst sich mir bescheert

Für ewig: dann kann mich kein Leid mehr kränken.

 

 

443

 

Und scheint dies Leben oft mir eine Wüste,

Und wird mir lang und öd’ der Pilgerweg,

Und wird im Herzen Gram und Unmuth reg’

Durch ird’scher Hoffnung schweifendes Gelüste,

 

Und däucht mir’s still, ob ich ein Eiland wüste

Der Seligen, nur nicht dahin den Steg,

Wo Freude wohnt; hallt’s in dem Zwiegespräch:

„Weh, wenn dein Herz hienieden nichts vermißte!

 

Und eine Stimm’ aus ew’gem Friedensräumen,

Wo Liebe, Licht und Wonn’ heimathlich weilen,

Spricht sanft mir zu: „ein Kleines noch Geduld.

 

O, hoff’ auf Gott! Verlier’ dich nicht in Träumen,

Oft bringen sie den Schlaf; die Stunden eilen,

Dich finde wach dein Schöpfer voll der Huld.“

 

 

444

 

Wie hoch vom Hang der Bergquell stürzt zu Thale,

Umschlossen eng’ von bleierner Umhüllung,

So hoch springt er in freudiger Enthüllung

Zur Sonn’ empor im lautern Wasserstrahle.

 

Wie weit geöffnet des Verlangens Schale

In deiner Brust, so reichlich die Erfüllung;

Wie heiß der Durst, so reich des Durstes Stillung,

So Nachhall, gleich der Kluft im Felsensaale.

 

Doch Er, deß Herrlichkeit, sich auszubreiten,

Das Menschenherz erkor, der Sionsveste

Auf unsres Glaubens Felsen mochte gründen,

 

Muß selbst der Gnade Weg und Statt bereiten,

Im Nehmen, so wie Geben, thun das Beste:

Er sucht’ in uns, mit uns, wo wir ihn finden.

 

 

445

 

Zieh’ ab den Blick von Vielem, das vergeht:

Hinauf zur Einheit auf der Andacht Flügel,

Hinan, durchbrich die heil’gen Demantriegel

Mit reinem, kindlich heiterem Gebet!

 

Dort in unwandelbarer Majestät

Schaust du beglückt im sel’gen Wonnespiegel

Der Kreaturen all’ urheil’ges Siegel,

Wie’s war und ist und ewiglich besteht.

 

Versenk’ dich ganz, im sel’gen Schaun vertieft,

In ew’ger Liebe sel’gen Brunn; dort leuchtet

Dein eigen Bild in heil’ger Menschheit dir.

 

So erst verstehst du dich, Natur und Schrift;

Erkenntniß, die ihr Weisen nie erreichet,

Schöpft hier ein Kind an sel’ger Himmelsthür.

 

 

446

 

Wie zwischen Wonneschaun und Liebverlangen

Inmitten eines Abgrunds selig schweben,

Ein- und aus-athmend dort im ew’gen Leben,

Die Geister, lichtdurchzückt und lichtumfangen!

 

Bald hält des Schauens Lust sie froh gefangen,

Bald streben sie empor in Wonnebeben

Des Liebewillens, ganz sich dem zu geben,

Von dem ihr sel’ges Leben ausgegangen.

 

Und in der süßen Unruh’ findet Ruh’

Ihr feurig Lieben; ew’ge, sel’ge Rast

Umfahet jenes dopelathm’ge Leben.

 

Und eilt ihr Geist der ew’gen Quelle zu,

Die aller Himmel Seligkeit umfaßt,

Muß Ruh’ doch zwischen Lust und Liebe schweben.

 

 

447

 

Fühltest du nicht, wie oft, wenn ganz geweiht

Dem Göttlichen, dich Liebesarm’ umfingen,

Wie, wenn erhoben über Welt und Zeit,

Dir Engel unterbreiteten die Schwingen?

 

Umfangende umfängt Barmherzigkeit;

Gott und Natur muß da den Geist verjüngen.

Wie hoch dein Blick empor sich schwingt, so weit

Wird er auch abwärts in die Tiefe dringen.

 

Doch rein von jedem Nebel muß dein Blick,

Dem Strahl gehorchend, gleich Krystallen, rein,

Und leicht dein Herz von Staub der Erde sein.

 

Was trüb’ und unrein, stößt von sich zurück

Der ew’gen Schönheit Arch’ und beut allein

Dem, was sich rein ihr naht, das reine Glück.

 

 

448

 

Ich seh’ hinauf; ein lichter Friedenstag

Der höchsten Einheit zeigt sich meinen Blicken;

Nur Einen seh’ ich; fernab mir im Rücken

Liegt mir die Welt mit ihrer Noth und Schmach.

 

Ich seh’ hinab; was dunkel vor mir lag,

Muß mich durch tausendfachen Glanz erquicken:

So theilt in Pracht sich, ohne zu zerstücken,

Das eine Licht, das sich in Farben brach.

 

Im Blick hinauf war mir die Welt verschwunden,

All’ ihrer Thorheit nicht’ge Pracht und Schein

Mocht’ ich nicht mehr als Wirklichkeit erkunden.

 

Nun aber kehrt ihr Schein sich mir in Sein,

Die frei verlorne hab’ ich neu gefunden,

Denn was sie ist, ist sie in Gott allein.